Die Evolution des Gehirns


Eine große Naturkatastrophe veränderte alles: der ostafrikanische Grabenbruch. Hohe Gebirge türmten sich auf und hielten den Regen zurück. Der tropische Regenwald bekam zu wenig Wasser und schrumpfte. Dafür breitete sich die Gras-Savanne immer mehr aus. Der Urwald bot nicht mehr genug Platz und Nahrung für alle.

Viele Affenarten versuchten, in der Savanne einen neuen Lebensraum zu finden. Erfolgreich war die Gruppe der Australopithecus-Arten. Aus Knochenfunden und eingetrockneten Fußspuren wissen wir, dass sie aufrecht liefen, aber ihre Schulterknochen zeigten, dass sie noch auf Bäumen kletterten. Wahrscheinlich lebten sie in Galeriewäldern, das sind kleine Waldinseln innerhalb der Savanne ohne Kontakt zum Urwald. Tagsüber durchstreiften sie die Savanne auf der Suche nach Nahrung, nachts schliefen sie auf Bäumen.

Es waren Vormenschen, noch Tiere, aber auf dem Sprung zur Menschwerdung. Der Anfang muss sehr schwer gewesen sein. Ihre Instinkte und ihr Fell waren für ein Leben im Regenwald optimiert. Für die Savanne brauchten sie ein dünnes, helles Fell und neue Instinkte. Die Entwicklung eines neuen Fells war kein großes Problem, wahrscheinlich wurden dabei auch die Schweißdrüsen entwickelt, die uns später zum besten Dauerläufer aller Landtiere machten. Aber die Änderung der Instinktsteuerung hätte mehrere Millionen Jahre gedauert.
Vormenschen - noch Tiere - wurden durch den Grabenbruch gezwungen, innerhalb einer Generation ihr Leben völlig zu ändern. Anpassen oder Untergehen, das war ihre Zukunft. Sie hatten gute Voraussetzungen: Sie gehörten zu den klügsten Tieren ihrer Zeit, der aufrechte Gang erleichterte das Gehen im hohen Savannengras, sie konnten über das Gras hinwegsehen, ihre Greifhände waren geschickt und zum Steinwurf und zur Werkzeugherstellung geeignet. Vor allem aber wurde ihre Hierarchie nicht durch Kämpfe gebildet.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Lebens konzentrierte sich die Entwicklung auf das Gehirn. Es wurde immer größer und entwickelte neue Funktionen. Wahrscheinlich wurden hier die Weichen gestellt für ein Lernen durch Versuch, Irrtum und Erfolg und für ein Erkennen von Ursache und Wirkung. In der Zeit des Überganges wurde der gezielte, harte Steinwurf entwickelt und die ersten Steinwerkzeuge hergestellt.
Einen Rückfall gab es nicht, das zeigen uns die kleinen Gebisse, die für einen Kampf ungeeignet waren. Geistige Fähigkeiten wurden immer wichtiger. Wer konnte Steine selbst bearbeiten, wer kannte Giftpflanzen, wer verstand die Hetzjagd? Alle, die dies konnten, die standen hoch im Ansehen, denen folgten sie. Da war kein Platz mehr für Kraftmännchen. Vielleicht wurde diese Verlagerung auf geistige Fähigkeiten unterstützt von Frauen, die sich nicht als Eigentum eines Mannes fühlten, sondern die aktiv den besten Ernährer für ihre Kinder aussuchten.

Die Beurteilung der geistigen Fähigkeiten eines Individuums erfolgte in den Gehirnen der Anderen. Je besser die Bewertung ausfiel, desto höher war das Ansehen dieser Person und der Platz in der Rangordnung der Gruppe. Gleichzeitig waren sie als Partner zur Fortpflanzung willkommen und konnten ihre guten Gene weitervererben.

Ansehen entstand in den Gehirnen der Ansehenden. Gehirne beurteilten Gehirne. Gehirne steuerten ihre eigene Evolution. Eine Auslese nach Gehirnleistung hatte es in der Natur noch nie gegeben. Das Ergebnis sind wir Menschen.

//